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Mehr InformationenEs ist eine Geschichte, wie erfunden von hyperaktiven PR-Beratern, allerdings mit dem Vorzug, wahr zu sein. Cem Özdemir suchte eine Unterkunft in Stuttgart, weil er immer öfter aus Berlin in seinen Wahlkreis pendelte. Fündig wurde er in der WG eines Freundes in einem Quartier von moderner schwäbischer Urbanität in der Hauptstadt jenes drittgrößten der sechzehn Bundesländer, in dem er noch so einiges vorhat. Es gibt Cafés, Kneipen, einen türkischen Lebensmittelmarkt mit Metzgerei und die ehrwürdige Zahnradbahn. Sie fährt aus dem Talkessel über die berühmte Halbhöhenlage hinauf nach Degerloch, fast bis zum ersten Fernsehturm der Welt.
Im Treppenhaus seiner Bleibe waren die Spinnweben nicht zu übersehen. Ganz im Gegenteil: Jedes Mal, wenn er aus der Bundeshauptstadt wiederkam, war die Staubschicht dicker. Über die strengen Putzregeln in den Mehrfamilienhäusern der angeblichen schwäbischen Provinz haben sich Generationen von Kabarettisten lustig gemacht. An der Universität Tübingen wurde ihre Bedeutung für den Nationalcharakter sogar wissenschaftlich herausgearbeitet. Die Kehrpflicht der deutschen Fürsten besungenen Eberhard im Barte. Gut fünfhundert Jahre später wurde in Stuttgart aus dem allwöchentlichen Brauch eine locker gehandhabte Bei-Bedarf-Vorschrift.
Özdemir wollte wissen, wie es denn so steht ums wöchentliche Großreinemachen. Die Zusammensetzung im Haus hatte sich im Laufe der Zeit geändert. Die Jüngeren konnten mit der Tradition nichts anfangen. Mit jedem neuen Bewohner aber, der ihr den Rücken kehrte, stellten sich die Älteren die Frage, warum sie als einzige noch kehren sollten. Es kam, wie es kommen musste: Bald putzte niemand mehr. Und das Kehrwochenschild war auch verschwunden.